Nachruf Sally Perel

Im Alter von 97 Jahren verstarb am Donnerstag, 2. Februar, im Kreis seiner Familie in Israel Sally Perel, der durch seine Autobiografie »Ich war Hitlerjunge Salomon« große Bekanntheit erlangt hat. In diesem Buch schildert der 1925 in Peine geborene Perel sein unfassbar anmutendes Schicksal während der nationalsozialistischen Zeit.Das in seiner neuen Heimat Israel, wo er seit 1948 lebte, auf Deutsch geschriebene Buch erschien zuerst 1990 in einer Übersetzung in Frankreich; im selben Jahr wurde der Stoff auch verfilmt. In Deutschland kam das Buch 1992 heraus. In der Folge brach Perel bis ins hohe Alter mehrfach zu Lesereisen nach Deutschland auf, wo er vor allem vor Jugendlichen auftrat, um ihnen von seinem Leben und den Schrecken der Nazizeit zu berichten und vor dem Wiedererstarken rechter Ideologien zu warnen.

Nachruf Sally Perel
Foto 1: Sally Perel signiert ein Exemplar seines Buches für die Deutsch-Kollegin Jutta Müller-Wirtz. Jever 27.2.2006 (Foto: Hartmut Peters)    
Nachruf Sally Perel
Foto 2: Sally Perel nach der Lesung mit Schülerinnen des MG (Foto: Hartmut Peters, 27.2.2006)

Im Lauf dieser Reisen kam Sally Perel auch dreimal nach Jever. Am 10. Juni 1993 las er auf Einladung der evangelischen Kirchengemeinde und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit vor rund 60 Zuhörern im Anton-Günther-Saal; am 27. Februar 2006 kam erneut, diesmal zu einer Schulveranstaltung an das Mariengymnasium. In der voll besetzten Aula las er vor Schülerinnen und Schülern der 9. und 10. Klassen. Gut zwei Stunden dauerte die Veranstaltung, dann musste Sally Perel aufbrechen, weil im Anschluss noch ein Auftritt am Alexander von Humboldt-Gymnasium in Wittmund geplant war. Und schließlich trat am 17. November 2010 vormittags noch einmal in der Aula des MG auf; anschließend folgte eine Lesung im Bürgerhaus Schortens für die 9. und 10. Klassen der Realschule.Über die Lesung am 27.2.2006 am MG verfassten zwei Schülerinnen einen Bericht, die im Rahmen eines Leistungskurses Deutsch an einem Presseprojekt teilnahmen: „Er ist kein Held. Er ist niemand, dem man danken möchte dafür, dass er als glänzendes Vorbild des Widerstandes in der Zeit des Dritten Reiches agierte. Doch er ist etwas Besonderes, dieser kleine, gesetzte, rund 80jährige Mann mit dem weißem schütteren Haar und seinem entwaffnenden, herzlichen Lächeln. Der gebürtige Deutsche ist Jude, oder wie er sagt ‚säkularisierter Israeli‘. Was ihn von anderen unterscheidet? Er überlebte das Terrorregime Hitlers und seiner Schergen in der ‚Haut des Feindes‘“.Seine aus Polen stammenden Eltern hatten in Peine ein Schuhgeschäft; vor den zunehmenden Repressalien der Nazis emigrierten sie Mitte der 1930er Jahre zurück in ihre alte Heimat Łódź. Doch dort wurden sie nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 wieder vom nationalsozialistischen Terror eingeholt. Die Eltern schickten daraufhin Sally und seinen älteren Bruder Isaak in den sowjetisch besetzten Teil Polens, wo er in einem Waisenhaus untergebracht wurde. Doch die vermeintliche Sicherheit vor den Nazis war spätestens mit der Kriegserklärung Deutschlands an die Sowjetunion am 22. Juni 1941 hinfällig geworden. Auf der weiteren Flucht wurde Sally in der Nähe von Minsk von deutschen Soldaten aufgegriffen, die über seine deutschen Sprachkenntnisse erstaunt waren. 

Geistesgegenwärtig gab er sich als versprengten volksdeutschen Waisen aus Litauen aus und wurde von den Soldaten, die er dann beim weiteren Vormarsch ein ganzes Jahr lang begleitet hat, wegen seiner Russisch-Kenntnisse als Dolmetscher aufgenommen. Schließlich sollte Sally als Josef („Jupp“) Perjell sogar von einem Hauptmann adoptiert werden. Er wurde auf eine HJ-Schulungseinrichtung nach Braunschweig geschickt und nahm so eine zweite Identität als Hitlerjunge an. Durch die permanente nationalsozialistische Prägung an der Schule der Hitlerjugend geriet Perel, wie er später äußert, selbst in die Gefahr, sich mit der Ideologie der Nazis zu identifizieren. Tagsüber „wird die Maske, die Sally für die Nazis überziehen musste, zu seinem wirklichen Ich. Mit Stolz reißt er den Arm hoch zum Hitlergruß, mit Bewunderung lauscht er Hitlers Reden. Die Traurigkeit und Einsamkeit holen ihn in der Nacht wieder ein.“Auch wenn für Sally Perel bei seinen Lesereisen oft ein Vortragstermin auf den anderen folgte – Zeit genug, mit ihm ins Gespräch zu kommen und Fragen zu stellen, blieb immer. Und auf eine Frage reagierte Sally Perel bei seiner Lesung am MG sehr ernst und nachdenklich: Gefragt, ob er nach allem, was er erlebt habe, noch eine Bindung an seine Religion zeige, antwortete er: „Warum hat Gott unser Volk im Stich gelassen? Warum mussten all die Kinder in den KZs sterben?“ und bezweifelte, ob er jemals wieder ein gläubiger Jude sein könne. Zu viele Fragen, auf die er noch keine Antworten gefunden hat, bewegten ihn. Seine Aufgabe sehe er jetzt darin, als Zeitzeuge einen Beitrag zu mehr Toleranz und Verständnis zu leisten. Und „aus diesem Grund will Sally Perel alles berichten und nicht ruhen, bis die Jugendlichen verstanden haben, ‚dass sie keine Schuld an der Vergangenheit tragen, doch dass sie diese Schuld doppelt treffen würde, wenn sich die Geschichte wiederholte‘“.Außer Sally und zwei weiteren Brüdern überlebte kein Familienmitglied den Holocaust. 1948 siedelte Perel nach Israel über, wo er sich erst vier Jahrzehnte später dazu entschloss, seine fast unglaublichen Lebenserinnerungen niederzuschreiben.Der Zeitzeuge Sally Perel ist jetzt verstummt, doch sein bewegendes Buch wird weiterhin Zeugnis ablegen von einer unheilvollen Epoche unserer Geschichte, die sich nie wiederholen darf.